Kreisgruppe Höxter
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Naturschutz befürwortet Nationalpark in der Egge

14. September 2023 | BUND, Bäume, Lebensräume, Moore, Naturschutz, Wälder, Wildkatze, Wildnis

Gemeinsame Presseerklärung der Naturschutzverbände und -vereine im Kreis Höxter.

Tierarten im Eggegebirge Im Eggegebirge lebt eine Vielzahl seltener Pflanzen- und Tierarten  (Mathias Lohr / Rolf Kirch)

Das Land NRW plant die Errichtung eines zweiten Nationalparkes, für den sich die Egge aufgrund der Eigentumsverhältnisse (Landesflächen), der Größe der zur Verfügung stehenden Flächen und der naturräumlichen Ausstattung geradezu anbietet.

In den letzten Wochen haben sich Gegner und Befürworter eines Nationalparkes mehrfach zu Wort gemeldet. Eine öffentliche Stellungnahme zu der Planung seitens des Naturschutzes im Kreis Höxter stand bisher aus.

Die Kreisgruppe Höxter des Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Kreisverband Höxter des Naturschutzbundes (NABU) sowie der Naturkundliche Verein Egge-Weser befürworten die Ausweisung eines Nationalparkes in der Egge und möchten vor fachlichem Hintergrund über die Bedeutung der Egge für den Naturschutz aufklären.

Zunächst gilt es festzuhalten, dass wir in einer Kulturlandschaft leben, in der die wertgebenden Tier- und Pflanzenarten - einst von den landwirtschaftlichen Tätigkeiten des Menschen gefördert - heute meist auf kleine, oft isolierte Restflächen beschränkt sind. Das Management der Vielzahl von Flächen zielt auf deren Offenhaltung ab und bedeutet einen hohen personellen und finanziellen Aufwand, der bei zunehmend knapperen Kassen schnell an seine Grenzen stößt. Seltene Offenlandarten können nur schwer in Wald-Nationalparks geschützt werden, so dass es künftig wohl weiterhin beide Naturschutzformen geben wird. Sind die Arten natürlicher Waldökosysteme Ziel der Schutzbemühungen, muss nicht ständig pflegend eingegriffen werden. Diese können sich wiederum nur auf großer Fläche natürlich entwickeln, denn sie benötigen viel Platz, damit ein Nebeneinander verschiedenster Waldentwicklungsstadien vom Jungbaumbestand über die Altersphase bis hin zur Zerfallsphase gewährleistet ist. Zudem weisen viele waldtypische Tierarten wie Rothirsch, Wildkatze oder der Luchs große Flächenansprüche auf, um stabile Populationen aufbauen zu können. In der Egge steht in der Nationalparkkulisse ein ausreichend großes Gebiet zur Verfügung, in dem ein Großteil der Waldentwicklungsstadien schon heute anzutreffen ist - lediglich die naturschutzfachlich äußert wertvollen alten Waldbestände in der Zerfallsphase fehlen weitgehend. Dies ist aber auch in den meisten anderen deutschen Nationalparks der Fall - denn unberührte Natur ist in Mitteleuropa nicht mehr anzutreffen. Diesem Umstand Rechnung tragend, spricht man von Entwicklungsnationalparks.

Von Gegnern des Nationalparks wird betont, dass im Bereich der Nationalparkkulisse schon heute große Bereiche als Naturschutz- oder FFH-Gebiet gesetzlich geschützt sind. Dabei wird übersehen, dass diese Schutzkategorien eine forstwirtschaftliche Nutzung der Wälder weiterhin zulässt. Wirklich alte Wälder als Hort der Artenvielfalt mit einem reichhaltigen Angebot an stehendem und liegendem Totholz für darauf spezialisierte Arten können sich so nicht entwickeln. Dies gewährleistet nur die Ausweisung eines Nationalparks, denn dort ist es erklärtes Ziel „Natur Natur sein zu lassen“. Eine im Jahr 2023 in „Communications Biology“ veröffentlichte Studie der Universitäten Darmstadt und München zum Rückgang von Insekten in Wäldern kommt zu dem Ergebnis, dass die Rückgänge von Insekten in Wäldern ohne forstliche Nutzung weniger stark sind als in intensiv bewirtschafteten Wäldern.

Neben diesen eher übergeordneten ökosystemaren Überlegungen ist aus naturschutzfachlicher Sicht zu betonen, dass sich in der Egge aufgrund der vielfältigen geologischen und hydrologischen Standortverhältnisse (u.a. basische u. saure Bodenverhältnisse, Felsbänder, Blockschutthalden, Quellen, Moore und Bachläufe) unterschiedlichste Lebensgemeinschaften mit einer Vielzahl von seltenen Arten finden. Der Nationalparkkulisse kommt zugute, dass sie in weitere große Waldgebiete längs des Eggekamms eingebettet ist, wovon v.a. die Arten mit großem Lebensraumanspruch profitieren. Auch viele Arten mit kleineren Raumansprüchen wie Grau- und Mittelspecht, Bechsteinfledermaus, Quelljungfer, Feuersalamander oder Großer Schillerfalter kommen dort in vitalen, untereinander gut vernetzten Populationen vor.

Aufgrund der hohen Niederschläge in der Egge finden sich dort zahlreiche Feuchtlebensräume mit einer großen Bedeutung für eine Vielfalt an z.T. seltenen und gefährdeten Moosen, Farnen, Bärlappen und Schachtelhalmen. Die Felsformationen und Blockschutthalden längs des Kamms sind Lebensraum des Fledermaus-Höhlenkäfers, der bisher nur dort gefunden wurde. Zahlreiche Quellbäche entwässern längs der Wasserscheide entweder in Richtung Rhein bzw. Weser und unterstreichen die große Bedeutung des potentiellen Nationalparks für den regionalen Wasserhaushalt.

Die immer wieder geäußerte Befürchtung, dass der Bevölkerung der Zugang zum Nationalpark verwehrt wird, ist falsch. Er ist über ein gut ausgebautes Wegenetz erschlossen, welches störungsempfindliche, sensible Bereiche umgeht. Denn Nationalparke dienen neben dem Naturschutz auch der naturkundlichen Bildung, dem Naturerleben sowie der Strukturförderung der Region. Deshalb begrüßt auch die Geschäftsführerin des Touristikverbandes NRW Frau Dr. Döll-König einen zweiten Nationalpark in NRW.

Da die Nationalparkkulisse aktuell eine Vielzahl unterschiedlicher Waldentwicklungsphasen aufweist, wird das Naturerleben in den nächsten Jahrzehnten besonders abwechslungsreich sein. Grund hierfür ist die beständige Weiterentwicklung der Wälder, sodass sich diese stets in einem anderen „Gewand“ präsentieren.

Gerade auf den nicht aufgeforsteten, großflächigen Kalamitätsflächen können sich in den nächsten Jahren Lebensgemeinschaften des Halboffenlandes etwa mit gefährdeten Vogelarten wie Raubwürger, Waldohreule und Heidelerche sowie einer artenreichen Insektenfauna entwickeln. Auch der Rothirsch, der von Natur aus eine Art des Offenlandes ist, profitiert von den derzeit großflächig offenen Bereichen.

Ein immer wieder vorgebrachtes Argument gegen die Ausweisung eines Nationalparks sind die damit verbundenen Einschränkungen der forstlichen Nutzung und die Befürchtung des Verlustes von Arbeitsplätzen. Aufgrund des großflächigen Absterbens der Fichten sind in der Egge und in der Kulisse des Nationalparks in den nächsten 80 bis 100 Jahren keine oder kaum noch Nadelbäume zu ernten. Die Laubbäume des Eggewaldes, zumeist Buchen und Eichen, werden in einem nicht ganz unerheblichen Umfang auch außerhalb der Region vermarktet. Bedient man vorrangig den regionalen Markt, sollten auch mit Nationalpark zukünftig ausreichend Arbeitsplätze in der Holzwirtschaft zur Verfügung stehen.

Als weiteres Argument gegen einen Nationalpark wird eine Studie des Max-Planck-Institutes für Biogeochemie von Professor Schulze in der Zeitschrift „Global Change Biology - Bioenergy“ aus dem Jahr 2020 angeführt, die zu dem Schluss kommt, dass bewirtschaftete Wälder mehr zum Klimaschutz beitragen würden als unbewirtschaftete. In der selben Zeitschrift wurden diese Ergebnisse von drei Autorenteams unabhängig voneinander widerlegt (von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, von der Wohllebens-Waldakademie sowie von der Naturwald-Akademie).

Bedenken gegen die Ausweisung eines Nationalparks bestehen auch seitens der Jagd und der Landwirtschaft. Es wird befürchtet, dass durch jagdliche Beschränkungen Schäden auf land- und forstwirtschaftlichen Flächen zunehmen könnten. Dazu ist zu erwidern, dass Nationalparke dazu verpflichtet sind, Wildschäden durch Wildschweine in angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen gering zu halten, Tierseuchen zu verhindern und den Nationalparkzielen entgegenlaufenden starken Wildverbiss durch Rot- und Rehwild zu verhindern. Dies ist im „Positionspapier Wildtierregulierung“ der AG Nationalparks festgelegt. Die Trophäen- und Ansitzjagd in vielen Nationalparken wird weitgehend durch winterliche Bewegungsjagden und kürzere Jagdzeiten ersetzt. Durch diese Form der Wildtierregulierung können sich die Fluchtdistanz des Schalenwildes verringern und die Beobachtungsmöglichkeiten verbessern. Für die Wildtiere selbst bedeutet diese Jagdform deutlich weniger Stress.

Kein Nationalpark Egge ist nach unserer Empfehlung eine verpasste Chance für die heimische Natur, die Region OWL und für den Kreis Höxter. Wir haben hier die einmalige Gelegenheit, alte Laubwälder zu erleben und deren unbeeinflusste Besiedelung zu erforschen. Dazu haben wir die Chance, in der Egge nach den forstwirtschaftlich erheblichen Kalamitätsschäden an der bei uns standortfremden Fichte, einer spontanen klimastabilen Wiederbewaldung großflächig Raum zu geben. Diesen Wandel können wir begleiten und die Entwicklung zum Naturwald beobachten und wertvolle Erkenntnisse erlangen. Weiterhin eignet sich der Nationalpark wunderbar zur Erholung und bietet hervorragende Möglichkeiten für eine zeitgemäße Umweltbildung zu Themen wie Nachhaltigkeit und Schutz der Biodiversität.

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